Kein Mitleid für Kubas Dissidenten
Einzelhaft unter unwürdigen Bedingungen
Von Richard Bauer
NZZ Nr. 145/2003, S. 5

Trotz internationalen Protesten haben die Richter des Castro-Regimes die unverhältnismässig strengen Strafen für Dutzende von Regimekritikern nicht gemildert. Die erstinstanzlichen Urteile sind im Appellationsverfahren bestätigt worden.
Wie zu erwarten war, hat der Oberste Gerichtshof Kubas die Strafen gegen Regimekritiker sowie unabhängige Journalisten und Bibliothekare bestätigt. Laut Elizardo Sánchez, dem Präsidenten der regierungsunabhängigen Kommission für Menschenrechte und Wiederversöhnung, sind bereits 50 von 75 Fällen von der Rekursinstanz beraten worden. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die übrigen Appellationen abschlägig beantwortet würden, sagte Sánchez, der selber staunt, dass er noch auf freiem Fusse ist.

Schreiben als Verbrechen
Zu den prominentesten Opfern der jüngsten Welle von Repression des Castro-Regimes gegen Andersdenkende gehört der 57jährige Schriftsteller und Journalist Raúl Rivero, der nach einem summarischen Verfahren im April zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Dem Begründer der unabhängigen Internet-Presseagentur “Cuba Press” wird vorgeworfen, das “Gesetz zum Schutz der nationalen Unabhängigkeit und der Wirtschaft Kubas” verletzt zu haben. Damit gelangt dieses ausdrücklich auf die Dissidenten gemünzte Gesetz aus dem Jahre 1999 erstmals zur Anwendung. Rivero arbeitete mit der angesehenen Interamerikanischen Pressegesellschaft SIP sowie mit Reportern ohne Grenzen zusammen. Auch schrieb er regelmässig für nordamerikanische Medien. Was ihrem Mann angetan werde, sei von grenzenloser Grausamkeit, erklärte Blanca Reyes vor ausländischen Journalisten. Das einzige Verbrechen, das Rivero begangen habe, sei zu schreiben, was er denke, sagte Frau Reyes. Rivero wird wie alle anderen Dissidenten in Einzelhaft gehalten.

Internationale Proteste
In der Urteilsbegründung befinden die Richter, das Strafmass im Fall Rivero, das international einen Aufschrei der Empörung auslöste, sei in absoluter Übereinstimmung mit der Schwere der Vergehen. Durch sein Verhalten habe Rivero die Stabilität der ganzen Nation und die legitime wirtschaftliche, soziale und politische Ordnung brechen wollen. Sein Ziel sei es gewesen, die nationale Unabhängigkeit aufzugeben und das Schicksal des kubanischen Volkes dem Willen einer ausländischen Macht – gemeint sind die USA – zu unterwerfen. Den meisten Verurteilten wird unterstellt, im Solde der amerikanischen Interessenvertretung auf der Insel gestanden zu haben. Die jüngsten Verfolgungen von Dissidenten hatten sowohl in Washington als auch in Brüssel scharfe Reaktionen ausgelöst. Die EU beschränkte die politischen Kontakte zum kubanischen Regime auf ein Minimum und empfahl den Mitgliedsländern, auch den kulturellen Austausch zu minimieren. Im Gegenzug hat Castro das von Spanien betriebene Kulturinstitut in Havanna unter kubanische Verwaltung gestellt.

Kein Licht, keine Bücher
Die Familienangehörigen der verurteilten Regimekritiker haben die Haftbedingungen in den kubanischen Gefängnissen als unmenschlich denunziert. Dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz ist der Zugang zu den Haftanstalten Castros seit eh und je verwehrt. Gisela Delgado, eine führende Figur der Bewegung unabhängiger Bibliothekare, beklagt sich bitterlich darüber, dass ihr Mann, der zu 25 Jahren Haft verurteilte 61jährige Héctor Palacios, nicht in einem Gefängnis in der Nähe ihres Wohnortes Havanna seine Strafe verbüsse, sondern in das ferne Provinzgefängnis von Pinar del Río verlegt worden sei. Damit werde zusätzlich die ganze Familie bestraft, sagte sie kürzlich im persönlichen Gespräch, nachdem sie ihren Mann zum ersten Mal hatte besuchen können. Jährlich wird Gisela Delgado ihren Mann nur gerade viermal während jeweils zweier Stunden sehen können. Der erste Besuch habe sie völlig deprimiert. Im Besuchertrakt stinke es ekelerregend nach Fäkalien. In der Zelle ihres Mannes gebe es kein elektrisches Licht, weil die Gefängnisverwaltung keine Mittel habe, die verschwundene Glühbirnenfassung zu ersetzen. Eine Biographie Gandhis, die sie Héctor als Lesestoff habe geben wollen, sei zurückgewiesen worden. Frau Delgado fürchtet insbesondere um die Gesundheit ihres Mannes; es sei etwa unmöglich, den Gefangenen Lebensmittel von aussen zukommen zu lassen, um die spärliche Kost in der Haftanstalt aufzubessern.

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