Exhumierte Hysterie
Transkriptionen von McCarthy-Verhören erstmals publiziert
Von Andrea Köhler
NZZ Nr. 107/2003, S. 57

Es mag manch einem wie die bittere Ironie der Geschichte vorkommen: Die Akten der Hexenjagd von Senator Joseph McCarthy [sind] ausgerechnet in einer Zeit wieder aufgeschlagen werden, in der die Verdachtskultur bezüglich “unpatriotischer Umtriebe” hässliche neue Blüten treibt. 50 Jahre ist es jetzt her, dass der republikanische Senator mit seiner fixen Idee eine ganze Epoche vergiftete – und, nebenbei, Karrieren vernichtete und Menschen in den Selbstmord trieb. Auf der Suche nach einer zündenden Wahlkampagne lancierte er schon 1950 die Phantasie, dass der Staat und speziell das State Department von Kommunisten unterwandert seien – eine Verschwörungstheorie, der die hysterische Kommunistenfurcht in Zeiten des beginnenden Kalten Kriegs heftig Vorschub leistete. Doch sollte die Denunziation und Bespitzelung Unschuldiger für immer mit seinem Namen verbunden bleiben. Es war der Cartoonist Herblock, der eine Ära nach ihm benannte: McCarthyism. Charlie Chaplin, Humphrey Bogart und Albert Einstein gehörten zu den Opfern.
Als die Republikaner 1953 an die Macht kamen, wurde McCarthy Vorsitzender des “Untersuchungsausschusses für unamerikanische Umtriebe”. Die Transkriptionen von 160 Verhören, in denen der Senator gern selbst in Aktion trat, sind nun, ein halbes Jahrhundert später, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden; sie lagen bis ins Jahr 2001 im Nationalarchiv in Washington unter Verschluss. Die Mitschriften, von Historikern aufbereitet und herausgegeben vom “Senate Committee on Governmental Affairs”, lesen sich wie das endlose Protokoll einer machtgestützten Verblendung, die in die Welt setzte, was sie derselben um jeden Preis – auch den der Lächerlichkeit – austreiben wollte.
Was man heute eines der düstersten Kapitel der amerikanischen Demokratie nennen darf, scheint vor allem ein Meisterstück an mediengestützter Demagogie gewesen zu sein. Gleichwohl mag überraschen, wie wenig seinerzeit offenbar ausreichte, um jemanden vor den Ausschuss zu laden, ja wie schlecht recherchiert oder schlicht kurios viele Fälle waren.
Manche gerieten schon unter Verdacht, wenn sie nur entfernte Bekannte mit liberalen Ideen hatten; ein Angestellter der General Electrics wiederum war dabei beobachtet worden, dass er ein Buch über Sibirien las. Ein Diplomat des State Department wurde vor den Untersuchungsausschuss zitiert, weil er in der russischen Botschaft von Istanbul zur Welt gekommen war. Freilich hatte das Komitee zuvor nicht einmal in Erfahrung gebracht, dass dort zu diesem Zeitpunkt zwei russische Botschaften existierten; eine davon für Weissrussen. Die Eltern des vermeintlichen “Kommunisten”-Nachwuchses waren antikommunistische Zaristen gewesen.
In jedem Fall galt die Devise: schuldig, solange die Unschuld nicht bewiesen ist. Und das war schon deshalb schwierig, weil McCarthy, ein Meister der Manipulation, diese Verhöre zu propagandistischen Zwecken ausnutzte und die Presse seinen anschliessend vorgetragenen Versionen meist ungeprüft Glauben schenkte. Der Historiker Donald A. Ritchie, der die Publikation der Transkriptionen betreute, hat die damaligen Presseberichte mit den Akten verglichen. Demnach neigte McCarthy nicht nur dazu, “masslos zu übertreiben”, sondern war von seinen eigenen Übertreibungen so überzeugt, dass er zuletzt auch gegenüber verdienten Militärs ausfallend wurde und schliesslich den Senat und den Präsidenten gegen sich aufbrachte. Er war zu dieser Zeit schon ein schwerer Trinker; 1954 musste er abtreten; drei Jahre später starb er im Alter von 48 Jahren an Leberzirrhose.
Neben Armee und Politikern waren es vor allem Künstler, Wissenschafter und Schriftsteller, die unter dem Vorwand des Sympathisantentums auf häufig demütigende Weise examiniert wurden. In den Akten finden sich beispielsweise die transkribierten Verhöre der Schriftsteller Dashiell Hammett und Langston Hughes, in denen unter anderem das Problem verhandelt wird, ob die Ansichten der Figuren zwangsläufig mit denen des Autors identisch seien. Die Antwort der Investigatoren auf solche poetologischen Fragen fiel naturgemäss nicht in leisester Kenntnis ästhetischer Theorien aus.
Trotz massiven Drohungen wurde zwar keiner der Angeschuldigten ins Gefängnis gesteckt. Doch der blosse Verdacht reicht in Zeiten der Hysterie bekanntlich aus, Existenzen zu vernichten. Die Papiere seien auch deshalb publiziert worden, um künftige Generationen vor solchen Exzessen zu warnen, zitiert die “New York Times” die republikanische Senatorin Susan Collins, die das Projekt mitbetreut hat. Insofern kommt diese späte Veröffentlichung gerade zur rechten Zeit.

Die Protokolle sind unter Nytimes.com/washington online abzurufen.

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